Hannoversche Allgemeine Zeitung 17.05.2013

Sorina weckt Erinnerungen

Demenz Heike Ippensen besucht als Klinik-Clownin Menschen im Pflegeheim.

Von Kirsten Allée

Die Glöckchenkette am Hosenbein bimmelt leise, als Sorina über die Flure des Marianne-Werner-Hauses eilt, einem Pflegeheim für alte, kranke und demente Menschen auf dem Gelände des hannoverschen Stephansstiftes. Einen kleinen schwarzen Koffer in der Hand, steckt sie die runde, rote Plastiknase durch die Zimmertür. Ihr weiß umrandeter roter Mund verzieht sich zu einem warmen Lächeln. „Hallo, guten Tag“, sagt sie freundlich zu der bettlägerigen alten Dame und erntet prompt einen Blick aus leuchtenden Augen. Es ist der zweite Sonnabend im Monat, das Highlight für die Heimbewohner, denn an diesem Tag kommt Klinik-Clownin Sorina.

Sorina sucht mindestens einmal im Jahr einen Mann

Wenn die zierliche 49-Jährige in roten Pluderhosen steckt, ein Herzchen auf der rechten, eine Sonne auf der linken Wange, den schwarzen Hut mit dem roten Band auf dem Kopf und eine bunt bestickte Weste über dem T-Shirt, ist sie ganz und gar Sorina. Im Privatleben heißt die Clownin Heike Ippensen, ist verheiratet und hat einen Sohn. Sorina dagegen bleibt auf immer ledig, kinderlos und „sucht mindestens einmal pro Jahr einen Mann“. Dann fragt sie die Senioren um Rat, ganz unverblümt und naiv, lockt sie so aus der Reserve und bekommt viele Tipps, in denen die Bewohner ihre eigenen Erfahrungen aus der Vergangenheit einbringen. Das ist die Zeit, in der Sorinas Publikum sich meist am besten zurechtfindet.

Um diese Erinnerungen wach zu rufen, hat Klinik-Clownin Sorina in ihrem Köfferchen allerlei Requisiten: An diesem Sonnabend sind es Luftballons, die sie zu Tieren formen kann, ein Seil, mit dem sie einen Knotentrick vollführt, ein Plüschhund, der per Knopfdruck einen Salto schlägt. „Der ist aber niedlich“, stellt eine Heimbewohnerin fest, dann schaut sie versonnen: „Ich hatte mal einen Dackel, der hieß Kümmel.“ Solche eindeutigen Reaktionen sind nicht die Regel. Gerade Schlaganfallpatienten und Heimbewohner, deren Demenz schon weiter fortgeschritten ist, äußern sich nur selten mit Worten. Ein Kopfheben, ein Augenflackern, manchmal nur die Veränderung der Atemfrequenz sind die kaum wahrnehmbaren Indizien, dass die Klinik-Clownin zu ihnen durchgedrungen ist.

Selten stößt Sorina auf Ablehnung. Auch das akzeptiert sie. „Ich mache ja nur ein Angebot.“ Respekt ist für Heike Ippensen wichtig, deshalb behandelt auch  Sorina die Menschen mit Achtung – ganz gleich, ob hoch betagt, sprachbehindert oder dement. „Ich sieze die Bewohner, frage, ob ich in ihr Zimmer eintreten darf.“ Wenn jemand signalisiert „heute nicht“, dann geht sie eben wieder hinaus. Diese Haltung schätzt auch Christine Holm. Als Alltagsbegleiterin im Marianne-Werner-Haus übernimmt sie die Sonderbetreuung für Bewohner mit körperlichen und geistigen Einschränkungen. Sie begleitet die Klinik-Clownin und dokumentiert in den Akten, was bei den Besuchen geschehen ist. „Anfangs war ich skeptisch“, erinnert sich Holm. „Ich dachte, das nimmt den alten Menschen ihre Würde, wenn sie wie Kinder behandelt werden.“ Doch schnell habe sie gemerkt, dass Sorina eine ganz andere Art von Clown ist. „Sie geht sehr einfühlsam mit den Bewohnern um“, sagt die Alltagsbegleiterin. Sorinas heiter-sanfte Art bringe die alten Menschen zum Strahlen.

Auch im benachbarten Freytag-Haus hat Sorina eine Fangemeinde. „Gerade die bettlägerigen und dementen Menschen haben viel Bedarf an Fröhlichkeit“, sagt Alltagsbegleiter Uwe Krüger. Er überlegt jedes Mal vorher, wer diese Aufmunterung besonders nötig hat.

Eine kleine Gruppe von sechs Senioren wartet im kleinen Speiseraum. Der Plüschhund vollführt wieder seinen Salto, die Bewohner lachen herzlich. Nur eine alte Dame schaut scheinbar unbewegt der Darbietung zu. Als Sorina kleine Seifenblasen in die Luft pustet, versuchen einige Zuschauer die zarten Gebilde zu fangen. Eines der schillernden Bläschen hat sich auf dem Handrücken der teilnahmslosen Seniorin niedergelassen. Die Frau schaut fasziniert darauf und lächelt versonnen. Sorina hat es wieder geschafft. Auch das gemeinsame Singen klappt gut. Zwar erinnern sich nicht alle an den Text von „Mein Hut, der hat drei Ecken“, aber die meisten summen die Melodie. „Selbst Menschen, die nur noch selten sprechen, singen mit“, sagt Heike Ippensen.

Improvisieren gehört zum Programm

„Jedes Mal ist es aufs Neue spannend, welche Ideen wie ankommen, deshalb habe ich auch kein festes Programm, sondern improvisiere viel.“ Auch das Schnuppern an einer Franzbranntweinflasche kann hilfreich sein, um Gedanken anzustoßen. „Das hat meine Schwiegermutter immer benutzt“, sagt eine Heimbewohnerin, nachdem sie den scharfen Geruch wahrgenommen hat, und wirkt plötzlich ganz wach. Eine kleine Insel im Nebel des Vergessens ist wieder aufgetaucht.

Heike Ippensen liebt den Kontakt zu den alten Menschen. Als Sorina erhält sie bei jeder Verabschiedung viel Dankbarkeit, gute Wünsche „vor allem Gesundheit, das ist ja wichtig“ und das Hoffen auf ein Wiedersehen. „Bis zum nächsten Mal“, verabschiedet sie sich. „Ja“, antwortet eine der alten Damen. „Wenn ich dann noch da bin.“

Zur Person

Heike Ippensen wohnt in Lohnde bei Hannover und arbeitet seit mehr als sechs Jahren als Clownin in Senioren- und Pflegeheimen. Ursprünglich war sie Technische Zeichnerin. Nach der Babypause holte sie das Abitur nach und studierte Religionspädagogik. Es folgten drei Jahre als Diakonin für Kinder- und Jugendarbeit, bis sie auf einer Fortbildung das Theaterspielen entdeckte. In einer Zeitung las sie einen Artikel über Klinikclowns und merkte „das ist etwas für mich“. Sie belegte Kurse an der Schule für Tanz, Clown und Theater (TUT) in Hannover und machte eine einjährige Ausbildung zum Klinik-Clown. Ihre Berufung fand sie in der Arbeit mit alten, kranken und von Demenz betroffenen Menschen. Etwa drei Heime besucht sie pro Woche, dazu kommen andere Auftritte. Infos: www.clownin-unterwegs.de


Foto 1: Mit einfachen Mitteln versucht Heike Ippensen, an frühere Erlebnisse der Senioren anzuknüpfen. Foto: Allée